Sonntag, 9. September 2012

Review: Bow - Man In The Machine

Jedes einfallsreiche Köpfchen benötigt ein Ventil, um der Kreativität freien Lauf lassen zu können. Hin und wieder gibt es auch besonders Phantasiebegabte, die gleich mehrere Ventile benötigen, um sich auszudrücken. Darunter zählt auch Chris van der Linden, Sänger der experimentellen Rock-Band Fourteen Twentysix. Nun veröffentlicht er unter dem Banner Bow sein erstes eigenständig lebendes Solo-Universum namens "Man In The Machine".

In diesem leicht dystopischen Universum geht es vorrangig um die Bedeutung des Menschen in Bezug auf die Entwicklung der Maschinen, die sich seit dem 18 Jahrhundert verstärkt in unsere Lebensweise manifestiert haben. Dabei kommt das Debütalbum des Holländers gänzlich ohne konventionellen Gesang aus. Stattdessen wurden die sehr atmosphärischen Dialoge, sowohl von Mensch als auch von Maschine, selbst eingesprochen. Während die lebenden Gerätschaften ihre Bestimmung und Funktionalität in dieser Welt kennen, verblasst ihnen die Sicht auf ihren Schöpfer - beim Menschen ist es umgekehrt. Der Kern der Platte dreht sich in erster Linie um die Definition von Leben und vom einem sich-selbst-bewusst-sein in dieser Welt. Daraus resultieren Vor- und Nachteile auf beiden Seiten, die musikalisch in mal kleinere und mal größere Klangwelten gepackt wurden.

Genauso widerspenstig sich dieser Kerngedanke in Worte fassen lässt, genauso ungreifbar und unerwartet geben sich die Arrangements und die Instrumentalisierung von "Man In The Machine". Durch das große Konzept, welches alle 13 Titel durchflutet, ist es unmöglich - und in gewisser Weise auch unnötig - bestimmte Tracks hervorzuheben. Entspannende Ambient-Parts wechseln sich mit aufbrausenden elektronischen Trips ab, als wären wir Zeitzeuge der brodelnden Geschehnisse in diesem Gedanken-Universum.

Beim Genuss des futuristischen Silberlings kommt es zu massig Gedankengängen, während sich die Musik oftmals im Hintergrund bewegt. Es fällt daher vor allem zu Beginn sehr schwer, dem Album die volle Konzentration zu schenken, die es benötigt. Dies soll an dieser Stelle allerdings kein Nachteil sein. Im Gegenteil: Selten kurbelt ein Album die eigene Überlegung und Imagination derart an, wie die Dialoge und die Musik auf "Man In The Machine".

Der Ur-Gedanke, dass sich Maschinen in den Vordergrund drängen oder aufgrund einer raffinierten künstlichen Intelligenz gar eines Tages über die Menschen hervorbringen, ist seit geraumer Zeit in unserer Realität vorhanden. Auch wenn van der Linden auf "Man In The Machine" keine gewalttätige Machtverschiebung zwischen Mensch und Maschine beschreibt, kommt speziell dieser Gedanke sicherlich schnell ins Gedächtnis und erzeugt einen großen Raum voller Spekulationen und möglichen Diskussionen. Es ist ein Thema der Zukunft, in dass wir mit unserer Technokratie direkt hineinsteuern. Denn während Zahlen und Statistiken die Welt fest im Griff haben, verkommt der Mensch in dieser Zukunft selbst zur Maschine.

Dennoch versichert uns die Platte, dass am Ende der Mensch von sich bewusst sagen kann, dass es keine Verpflichtung ist, zu wissen, was die eigene Aufgabe und der Sinn des Lebens im Gesamten ist. "Man In The Machine" teilt uns in vielen Momenten durch wundervolle, harmonische Melodien mit, dass wir das Leben in aller Seelenruhe genießen können, ja sogar müssen, da es ist ein Teil unserer Bestimmung ist, auch wenn die Welt des 21. Jahrhunderts in Bezug auf Wirtschaft und Gesellschaft zusehends in den maschinellen Stumpfsinn steuert. Vielleicht sollten wir uns auch gerade deshalb wieder mehr mit der Menschlichkeit und uns selbst befassen? Das Album leistet dazu sicherlich seinen Beitrag.

Bleiben wir auf der musikalischen Ebene, so ist das Album eine experimentelle und äußerst befremdliche Erfahrung, die man am besten nachts, eingeschlossen in seinen vier Wänden und mit Kopfhörern macht. Diese Platte einfach nur nebenbei zu hören wäre eine Verschwendung des kreativen Outputs, der ihr eingebrannt wurde. Ich muss an dieser Stelle gestehen: Als ich die Proben vorab hörte, war ich von der Produktion bereits überzeugt, doch gegenüber dem Konzept recht skeptisch, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass die sphärische Instrumentalmusik auf einem Vollzeit-Album fruchten würde. Doch letztlich kann ich Chris van der Linden in seinem kreativen Tun nur wieder einmal bestätigen und sagen: Klasse gemacht! 

Euer Fibo

Wertung

Tracklist von "Man In The Machine"

01. I Am Machine (0:50)
02. The Sound Of Meaning (3:15)
03. 16.819.200 Minutes (0:31)
04. Two Wrongs (5:31)
05. Lights Out (0:36)
06. Neuron Traveler (3:40)
07. Mercury Tears (4:33)
08. Sun On A Cold Seed (3:04)
09. Influx (3:57)
10. Sunya (1:51)
11. Mirror Horizon (5:55)
12. The Way Out (8:50)
13. I Am Men (2:26)

Weitere Infos

Release: 06.09.2012
Spielzeit: 44:52
Chris van der Linden (Electronica, Gitarre, Harfe)

Band-Kontakt

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